Was braucht der Rettungsdienst der Zukunft? Gesundheitssprecher:innen von ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen bezogen live Stellung – Diskussionsrunde mit BVRD.at und ÖGARI anlässlich des Weltgesundheitstags 2025

Reform oder Kollaps – Wohin sollen die Rettungsdienste steuern? Was das neue Sanitätergesetz bringen muss

Die ÖGARI und der BVRD.at luden gemeinsam zur Diskussion mit den Gesundheitssprecher:innen der im Parlament vertretenen Parteien ein. 

Wien, 03.04.2025 – Sprecher:innen von vier im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien (ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne) bezogen im Rahmen einer hochkarätig besetzten Diskussionsrunde live Stellung – gemeinsam mit Vertreter:innen des Bundesverbands Rettungsdienst (BVRD.at) und der Sektion Notfallmedizin der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI).

Im Fokus stand: die dringend notwendige Reform des Sanitätergesetzes sowie strukturelle Maßnahmen, um den österreichischen Rettungsdienst zukunftsfit zu machen.

Zahlen, Daten, fundierte Konzepte und konkrete Lösungsvorschläge wurden dabei von den beiden Fachorganisationen BVRD.at und ÖGARI präsentiert. 

Es diskutierten (v.l.n.r): Florian Zahorka, BA, MA (BVRD.at), Ralph Schallmeiner (GRÜNE), Mario Lindner (SPÖ), Fiona Fiedler, BEd (NEOS), Mag. Dr. Juliane Bogner-Strauß (ÖVP), OA Priv.-Doz. Dr. Martin Dünser (ÖGARI), Clemens Kaltenberger (BVRD.at), Moderation: Claudia Schwarz (BVRD.at) [die FPÖ schickte trotz Anfrage leider keinen Vertreter]

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BVRD.at

Der BVRD.at fordert „Maximal-Kompromiss“ bei der Reform des Sanitäter Gesetztes und setzt sich für eine Erhöhung der Ausbildungsdauer und Inhalte ein, um ein professionelles Berufsbild zu etablieren. Angestrebt wird ein 3-stufiges Ausbildungsmodell, wobei die letzte Ausbildungsstufe ein 3-jähriges Studium auf Fachhochschulen darstellt. Auch der Zugang für Personen ohne Matura soll möglich sein, und zwar über eine einschlägige berufliche Qualifikation mit Zusatzprüfungen in 2-3 Fächern. Vorleistungen können angerechnet werden und auch für das Ehrenamt bleibt durch die ersten 2 Stufen genügend Platz im Rettungsdienst erhalten. Der BVRD.at weist auch darauf hin, dass bei den Gesprächen für das Sanitätergesetz 2002 bereits eine dreijährige Ausbildung mit ca. 4400 Stunden sowie ein Ehrenamtsmodell mit ca. 500 Stunden im Raum standen. Geendet hat es jedoch dann in dem, was wir heute haben: ganze 5 unterschiedliche Ausbildungsstufen, die viel Verantwortung bei gleichzeitig wenig Ausbildungszeit darstellen.

Weiters wird auch die hohe Unzufriedenheit bei den derzeitigen Sanitäter:innen genannt, weswegen auch viele nach einiger Zeit frustriert den Tätigkeitsbereich verlassen und so dem Gesundheitssystem verloren gehen.

 

ÖGARI

Die ÖGARI fordert vor allem eine Erhöhung der Ausbildungsdauer mit dem Fokus auf Qualität, welche für das Erlernen der teils jetzt schon hohen Kompetenzen notwendig wäre, jedoch nicht gegeben ist. Der aktuellen Datenlage nach werden nur bei ca. 15-20% der Einsätze, zu denen ein Notarztmittel alarmiert wird, überhaupt notärztliche Maßnahmen benötigt. Den Rest könnten gut ausgebildete Sanitäter:innen eigenverantwortlich übernehmen. Zudem sollten auch Einsatzmöglichkeiten im innerklinischen Bereich geschaffen werden, um den Kompetenzerhalt zu sichern, wodurch sich auch anderswo das Gesundheitssystem unterstützen lässt.

 

ÖVP

Juliane Bogner-Strauß bekennt sich grundsätzlich zur Reform des Sanitäter Gesetzes an. Das Berufsbild der Sanitäter:innen solle vor allem attraktiver gestaltet werden. Wichtig ist, dass Kompetenzen klar abgegrenzt und definiert sein müssen. Derzeit machen Krankentransporte den größten Teil der Arbeit aus und sollen reduziert werden, indem zum Beispiel Sanitäter:innen Patient:innen zu Hause versorgen oder feststellen können, wann ein Transport indiziert ist und wann nicht. Dafür benötigt es jedoch eine bessere Ausbildung und mehr Kompetenzen. Nur dadurch könnten unnötige Transporte ins Krankenhaus vermieden werden. Hervorgehoben wird auch die Durchlässigkeit zu anderen Gesundheitsberufen. Die Ausbildung bis zur höchsten Stufe müsse auch ohne Matura möglich sein. Ziel ist es, qualifiziertes Personal in einer durchdachten Rettungslandschaft einsetzen zu können. Dazu müssen alle Blickwinkel zusammengeführt werden, um einen Konses zu finden.

 

SPÖ

Mario Lindner gibt an, dass die Reform schwieriger sei, als initial gedacht. Eine große Herausforderung sei es, alle Stakeholder und Entscheidungsträger dabei zufrieden zu stellen. Das Vorhaben, den Rettungsdienst einer Professionalisierung zu unterziehen, wird positiv gesehen. Die SPÖ fordert eine Betrachtung der Gesamtkosten des Versorgungsprozesses, nicht nur jener des Rettungsdienstes. Auch wird angesprochen, dass alternative Finanzierungsmöglichkeiten des Rettungsdienstes geprüft werden. Bei der gesamten Weiterentwicklung und Reform des SanG muss oberstes Ziel sein, dass die rettungsdienstliche Versorgung im ganzen Land überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit gleich sei. Vielleicht müsse man manche Sachen einfach auch mal ausprobieren, um zu sehen, ob sie funktionieren bzw. eine Besserung herbeiführen, oder eben nicht.

 

NEOS

Fiona Fiedler unterstützt die Reform des Sanitätergesetzes zu Etablierung eines qualifizierten Gesundheitsberufs. Sie fordern mehr Kompetenzen, aber auch valide Daten. Denn leider ist die Datenlage hinsichtlich vieler Rettungsdienst relevanter Informationen überschaubar. Sie sieht die zukünftigen Sanitäter:innen zum Beispiel auch in der Rolle der Vermittlung gewisser Gesundheitskompetenzen in der Bevölkerung.

 

GRÜNE

Ralph Schallmeiner kritisiert, dass Sanitäter:innen derzeit im Gesundheitswesen als bloße Hilfskräfte gelten, was so nicht sein darf. Es braucht ein qualifiziertes Berufsbild mit einer adäquaten und weit umfassenden Ausbildung, damit Sanitäter:innen in Zukunft mehr eigenverantwortlich tätig werden können, ein Vergleich wird etwa zum Gesundheitsberuf der Hebammen gezogen.

Weiters müssen Schnittstellen zwischen Rettungswesen und anderen Gesundheitsversorgern überarbeitet und effizienter gestaltet werden. Stichwort Effizienz: es sollen bestehende Systeme kritisch auf ihre Effizienz hinterfragt werden.

Zuletzt wird betont, dass insbesondere unabhängige Organisationen wie der BVRD.at und die ÖGARI in den Entstehungsprozess bzw. die Reform mit eingebunden werden müssen. Denn eine Einheitlichkeit des Systems, was als Ziel genannt wird, erreiche man nur, wenn man unabhängig, mit Daten & Fakten sowie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen an die Sache herangeht.

 

Gemeinsamkeiten

Alle Akteur:innen erkennen einen Reformbedarf. Die Diskussionen zeigen viele unterschiedliche Blickwinkel, aber auch gemeinsame Ziele: Die Professionalisierung des Berufsbildes, eine bessere Ausbildung und erweiterte Kompetenzen, mehr Durchlässigkeit sowie effizientere Strukturen und Klarheit über Verantwortlichkeiten.

Über die Zeitleiste zur Umsetzung herrscht Uneinigkeit. Während die Grünen von einer Machbarkeit innerhalb eines Jahres ausgehen, verorten andere noch längeren Verhandungs- und Diskussionsbedarf.

 

 

UNTERLAGEN UND POSITIONEN

Positionen (Kurzfassung)

 

[Wien 03.04.2025] Anlässlich des Weltgesundheitstags 2025 sind die Gesundheitssprecher:innen aller im Parlament vertretenen Parteien eingeladen, ihre Positionen zu den zukünftigen Weichenstellungen für die Rettungsdienste in Österreich darzulegen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht die notwendige Reform des Sanitätergesetzes vor dem Hintergrund wachsender Herausforderungen in der rettungsdienstlichen Versorgung.

 

 

„Wir stehen an einem entscheidenden Scheideweg für viele Rettungsdienste in Österreich: Steuern wir auf einen Kollaps zu, oder setzen wir endlich die dringend notwendigen Reformen um? Als BVRD.at sind wir überzeugt, dass der größte Hebel in der Ausbildung liegt. Mit der aktuellen Gesetzeslage sind Sanitäter:innen selbst in der höchsten Ausbildungsstufe nicht mehr als angelernte Hilfskräfte. Wir brauchen dringend eine zusätzliche Ausbildungsstufe zur gehobenen Gesundheitsfachkraft sowie bessere Durchlässigkeiten in den Gesundheitsbereich. Das würde ein enormes Potenzial freisetzen und eine spürbare Entlastung für alle bringen. Sanitäter:innen kommt hier eine Schlüsselrolle in der Gesundheitsversorgung zu.“ – Clemens Kaltenberger, BVRD.at

 

 

„Die ÖGARI als notfallmedizinische Fachgesellschaft unterstützt eine verbesserte Ausbildung von (Notfall-)Sanitäter:innen vollinhaltlich. Mit qualifizierten Partnern auf sanitätsdienstlicher Ebene könnten nicht nur die Notaufnahmen und Ambulanzen in den Krankenanstalten entlastet werden, sondern auch die Notarztdienste. Einer aktuellen Datenerhebung zu Folge übernehmen österreichische Notärzt:innen derzeit in bis zu 80% ihrer Einsätze Aufgaben, welche auch von qualifiziertem Sanitätspersonal erfüllt werden könnten.“ – Martin Dünser, ÖGARI.

 

 

„Der Rettungsdienst steht vor einer Belastungsprobe: Ein ohnehin unverhältnismäßig hohes Transportaufkommen steigt weiter – bedingt durch eine alternde Bevölkerung und Einzelpersonen, die den Rettungsdienst überdurchschnittlich häufig beanspruchen. Wie die Studienergebnisse eines Simulationsmodells zeigen führt selbst eine massive Aufstockung der Rettungsmittel um ein Drittel zu einer lediglich kurzfristigen Verbesserung – in spätestens fünf Jahren wären wir wieder am selben Punkt. Der Rettungsdienst darf kein reiner Transportdienstleister und Kostentreiber im Gesundheitswesen bleiben. Er muss sich zum Gesundheitsdienstleister entwickeln – mit erweiterten Kompetenzen, gezielten Verweisungsmöglichkeiten und einer klaren Einbettung ins Versorgungssystem. Dafür braucht es eine dreijährige Ausbildung auf NQR-Stufe 6. Der Punkt wo mehr automatisch besser bedeutet, ist längst überschritten. Wir brauchen jetzt klar Qualität statt Quantität im Rettungsdienst.“ Florian Zahorka, BVRD.at

 

 

Zahlen, Daten, fundierte Konzepte und konkrete Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch. Jetzt ist die Politik am Zug: Gelingt es, gemeinsam mit den Rettungsorganisationen eine umfassende Reform der Sanitäter:innenausbildung umzusetzen, um auch angesichts des demografischen Wandels eine zukunftssichere und optimale rettungsdienstliche Notfallversorgung für die österreichische Bevölkerung zu gewährleisten?

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