„Belastungen im Rettungsdienst sind rechtswidrig.“

„Belastungen im Rettungsdienst sind rechtswidrig.“

Stefan Wehinger bringt auf den Punkt, was tausende Sanitäter:innen tagtäglich erleben: die physischen Belastungen im Rettungsdienst sind zu groß – und vermeidbar. Denn das Arbeitnehmerschutzgesetzt legt ganz eindeutig fest, dass u.a. technisches Hilfsmittel einzusetzen sind, um Menschen in Ausübung ihrer Tätigkeiten nicht krank zu machen. Doch das ist im Rettungsdienst nicht der Fall. Elektrohydraulische Fahrtragen, Treppengleittücher, Raupensessel, Rollboards und vieles mehr sucht man vielerorts vergebens.

Ein AUVAfit-Bericht hat im Detail analysiert, in welcher Form und wie oft kritische Grenzwerte einer physischen Be- und Überlastung im Rettungsdienst und Krankentransport auftreten und kommt eindeutig zu dem Schluss, dass die Standardtätigkeiten Grenzwerte regelmäßig überschreiten. Die Gesundheit der Sanitäter:innen ist damit gefährdet, die Tätigkeit macht krank.


Ministerin Korinna Schuhmann für umfassenden Schutz vor physischen und psychischen Belastungen im Rettungsdienst

Sozial- und Gesundheitsministerin Korinna Schumann bekräftigte ihr uneingeschränktes Engagement für umfassenden Schutz aller Beschäftigten im Rettungsdienst – sowohl vor physischen als auch psychischen Belastungen. Sie sicherte zu, dass ihr Ministerium alle Möglichkeiten ausschöpfen werde, um die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern und das Rettungswesen zukunftsfest zu machen. In Zeiten finanzieller Herausforderungen appellierte sie an gemeinsamen Zusammenhalt und betonte, dass ein starkes und gut ausgestattetes Rettungswesen unverzichtbar für die Sicherheit der Bevölkerung und die hohe Qualität des Gesundheitssystems ist.


Rechtswidrig: Warum im Rettungswesen in Österreich Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer:innen nicht eingehalten werden und dringend etwas getan werden muss.

Stefan Wehinger, Notfallsanitäter und Betriebsrat beim Roten Kreuz Innsbruck, kritisierte in seinem Vortrag die unzureichenden Arbeitsbedingungen und wies auf wiederholte Gesetzesverstöße beim ArbeitnehmerInnenschutzgesetz hin. Er betonte, dass viele körperliche Belastungen – zum Beispiel das Tragen schwerer Tragstühle – krankmachend sind und über Jahre zu bleibenden Schäden führen. Wehinger führte praktische Beispiele aus Innsbruck an, zeigte anhand statistischer Daten die hohe Beanspruchung im Alltag und unterstrich, dass technische Hilfsmittel wie elektrische Liegen und moderne Tragstühle zwingend erforderlich sind, um die gesetzlichen Anforderungen und den Stand der Technik einzuhalten.

Er widerlegte gängige Gegenargumente (zu teuer, zu kompliziert, nicht nötig für alle Fahrzeuge) und machte deutlich, dass der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht optional sein darf, sondern gesetzlich vorgeschrieben ist. Weiterhin forderte er, jedem Rettungsfahrzeug eine moderne Ausstattung bereitzustellen, um Gesundheitsschäden unabhängig von Geschlecht und Aufgabenbereich zu vermeiden. Abschließend appellierte Wehinger an Politik und Budgetgeber, Verantwortung zu übernehmen und eine zukunftsfähige, sichere Arbeitsumgebung im Rettungsdienst zu gewährleisten.

Zu diesem Thema auch unbedingt lesenswert der Blogbeitrag von Stefan Wehinger: https://www.awblog.at/Arbeit/Kraftakt-Rettungsdienst-Arbeitnehmer-innenschutz-in-Verzug


Leitmerkmalmethode zeigt eindeutig: Belastungen im Rettungsdienst sind außerhalb der gesetzlichen Grenzwerte

Barbara Baumgartner von der AUVA präsentierte eine umfassende Analyse der körperlichen Belastungen im Rettungsdienst und Krankentransportdienst, basierend auf dem Projekt „AUVAfit“. Sie erläuterte den gesetzlichen Rahmen, insbesondere den Paragraph 64 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, der Arbeitgeber verpflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung manueller Lastenhandhabung zu ergreifen, sowie die Arbeitsplatzevaluierung mit der Leitmerkmalmethode als zentrales Bewertungstool.

Im Projekt wurden Teiltätigkeiten des Rettungs- und Krankentransportdiensts detailliert erfasst und mit Hilfe von Fragebögen und sensorbasierten Analysen in Innsbruck ausgewertet. Die Ergebnisse zeigten eine hohe körperliche Belastung, vor allem bei Aufgaben wie Tragen, Heben und Patiententransfers, wobei Frauen besonders stärker belastet sind.

Das Fazit ist, dass die Belastungen bei den Beschäftigten außerhalb der gesetzlichen Grenzwerte liegen und geeignete Maßnahmen dringend erforderlich sind, um diese zu reduzieren und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Technische Hilfsmittel sollten dabei standardmäßig genutzt werden, besonders bei wiederkehrenden belastenden Tätigkeiten wie dem Tragen im Treppenhaus. Die Arbeitsergebnisse fließen in Empfehlungen zur Verbesserung und Optimierung der Arbeitsbedingungen ein.


Tirol: Elektrohydraulische Hilfsmittel und Flottenausbau bis 2030

Andreas Karl, Geschäftsführer des Roten Kreuzes Tirol gemeinnützige Rettungsdienst GmbH, berichtete über die Projekte zur Modernisierung und Optimierung des Rettungsdienstes in Tirol. Er betonte die Besonderheiten der Organisationsstruktur Tirols, in der mehrere Rettungsdienste unter einem gemeinsamen Betreiber organisiert sind, was eine einheitliche Ausstattung aller beteiligten Organisationen ermöglicht.

Karl erläuterte, dass Tirol etwa 730.000 Einwohner und täglich rund 100.000 Gäste hat, mit über 300.000 Patientenkontakten pro Jahr, und erklärte die verschiedenen Fahrzeugtypen wie Rettungstransporter, Krankentransportwagen und Großraum-Krankentransportwagen. Sie führten um 2024 Teststellungen neuer elektrohydraulischer Fahrtragen und Raupentragstühle ein, um die Belastungen der Einsatzkräfte zu verringern und den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. Die Erfahrungen aus den Tests sollen in die Fahrzeugausstattung bis 2030 einfließen, mit dem Ziel, alle Fahrzeuge entsprechend zu modernisieren.

Er berichtete auch von einer Umfrage unter rund 870 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ein starkes Interesse an modernen Hilfsmitteln wie elektrohydraulischen Fahrtragen zeigte, und merkte an, dass auch die Nutzung der vorhandenen Hilfsmittel verbessert werden müsse. Abschließend betonte Karl die demografischen Herausforderungen und die Notwendigkeit, die Gesundheit der jüngeren Einsatzkräfte langfristig zu erhalten, um den steigenden Bedarf an Rettungsdiensten in Tirol zu bewältigen.


Diskussionsbedarf

Die anschließende Diskussion verdeutlichte den Stand und die Herausforderungen bei der Umsetzung verbesserter Arbeitsbedingungen und technischer Hilfsmittel in Österreich. Teilnehmer waren Führungskräfte und Experten verschiedener Rettungsorganisationen sowie Vertreter der Arbeitsinspektion und Gewerkschaften.

  • Andreas Karl (Rettungsdienst Tirol GmbH) berichtete, dass in Tirol bereits projekthaft Maßnahmen zur Einführung elektrohydraulischer Fahrtragen umgesetzt werden, die Erfahrungen derzeit getestet werden und bis 2030 schrittweise alle Fahrzeuge modernisiert werden sollen. Es gibt aber keine bundesweit einheitliche Strategie; andere Bundesländer entwickeln ihre eigenen Initiativen.
  • Gerald Fietz (Arbeiter Samariter Bund) betonte, dass in einigen Bundesländern bereits elektrische Fahrtragen eingesetzt werden und weitere Anschaffungen geplant sind. Er hob hervor, dass die Umsetzung wirtschaftliche Rahmenbedingungen benötigt, die in manchen Bundesländern unzureichend sind. Zudem beklagte er die Unterfinanzierung des Rettungs- und Krankentransports und forderte Anerkennung des Rettungsdienstes als medizinische Dienstleistung.
  • Walter Rauter (Arbeitsinspektion) erklärte, dass Kontrollen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz im Rettungsdienst stattfinden. Die Inspektionen orientieren sich an technischen Entwicklungen und dem Stand der Technik, neue Initiativen können auf Antrag evaluiert werden.
  • Stefan Wehinger (Rotes Kreuz Innsbruck) äußerte sich grundsätzlich dankbar, dass das Thema Arbeitsbedingungen nun ernst genommen werde, kritisierte jedoch den langsamen Fortschritt und fehlende konkrete Umsetzungspläne, insbesondere die geringe Ausstattung mit modernen Hilfsmitteln im Verhältnis zur Flottengröße.
  • Claudia Schwarz (Bundesverband Rettungsdienst) benannte neben körperlichen Belastungen weitere Verbesserungspotenziale: bessere ergonomische Gestaltung in Fahrzeugen, bessere Erreichbarkeit von Geräten und persönliche Schutzausrüstung wie Helme und Schutzbrillen. Sie betonte die Bedeutung von Schulungen und der Akzeptanz technischer Hilfsmittel bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
  • Sylvia Gassner (Gewerkschaft vida) ergänzte, dass die erweiterten Erkenntnisse ein erster Schritt seien, aber flächendeckend in allen Bundesländern umgesetzt werden müssen. Psychische Belastungen sind ebenso wichtig, wo Schulungen und Supervision bereits etabliert sind aber weiterhin ausgebaut werden müssen. Gewaltvorfälle im Rettungsdienst haben in den letzten Jahren zugenommen, was zusätzlichen Unterstützungsbedarf schafft.

Insgesamt wurde betont, dass bereits erste Maßnahmen und Projekte umgesetzt werden, es aber noch vielerorts an Ressourcen, Strategien und breiter Akzeptanz fehlt. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Rettungsdienst wird als dringende und komplexe Aufgabe gesehen, die politischen und finanziellen Rückhalt benötigt.

Teilnehmende aus dem Publikum äußerten Kritik an der langsamen Umsetzung technischer Hilfsmittel, insbesondere bei Krankentransportfahrzeugen ohne Elektroverstärkung und erwarteten eine zügigere Modernisierung. Es herrschte breite Übereinstimmung, dass der Rettungsdienst als wichtiger Teil des Gesundheitssystems mehr politische und finanzielle Unterstützung braucht, um die gesteckten Ziele umzusetzen.

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FOTOS: (c) BVRD.at | Oliver Faerber